Die falbfarbene Löwin: Leseprobe 2

ein Essay des Autors Jean - Paul Lutz
«Die falbfarbene Löwin» – Roman, 2020»
Kapitel 13 (erscheint im Roman abgewandelt).

DAS KLAGELIED DER MUTTERGÖTTIN ERDE –
EINE MYTHO-BIOGRAFISCHE ABRECHNUNG

Die Erdgöttin spricht:

Nachdem Amma das Universum, die Sonne, den Mond und die Sterne geschaffen hatte, knetete er mich aus einem Erdklumpen. Ich lag auf dem Rücken, mein Leib ausgebreitet von Norden bis Süden. Mein Geschlecht war der Ameisenhügel, meine Klitoris der Termitenbau. Ich war Erde, Wasser und Blut. Algenfasern bedeckten meinen Körper.

… Dann stand er vor mir: Gott, mein Herr und Schöpfer, das «Mass aller Dinge». Das war am Anfang seiner Herrschaft. Das Wort «Herrschaft» war uns damals fremd. Doch bald musste ich erfahren, was er darunter verstand. Es war dreitausend Jahre vor unserer Zeit. Wir wurden von der Wucht des Umsturzes überrascht. Das «patriarchale Kriegszeitalter» (Kirsten Armbruster) hatte begonnen.

Von Ägypten und Kleinasien bis in den Orient vollzog sich der Göttinnen-Genozid. Da war Gott Marduk, ein Emporkömmling aus Babylonien. Er war ein zorniger Gott. Das musste Tiamat, die Göttin der Urflut, erfahren. Er zerriss sie in Stücke und bildete daraus seine eigene Schöpfung. Ähnliches geschah auch in Ägypten. Gott-Mann, wurde zum alleinigen Herrscher. Wir, die autochthonen, sich selbst schaffenden und ohne fremden Einfluss entstandenen, gewordenen und eingeborenen Göttinnen lagen am Boden: Werden, Wachsen und Vergehen gab es nicht mehr. Auch keine Erinnerung. Keine Geschichte. Keine Liebe. Keine Vergebung. Es gab auch keine Hoffnung, denn weshalb sollte man auf einen Gott hoffen, der bloss ein zeitloser «Ewiger» war? Dieser braucht niemanden mehr, der ihn tröstet und ihn in die Arme nimmt und und ihm die Tränen wegeküsst?

Ich sah seine unfassbare Einsamkeit. Da erschrak ich zutiefst. Ich wusste: unfassbar Einsame sind gefährlich – und gleichsam gefährdet. Sie haben keine Familie, keine Herkunft, keine Geschichte, bloß Feinde, die sie umzingeln oder die in ihrem Innern sind – wie bei Kaisern oder Diktatoren, deren Narzissmus sie zerfleischt. Deshalb klammern sie sich so sehr an die Macht. Herrschen bedeutet Überleben.

Für uns Göttinnen war das ein unvorstellbarer Gedanke: dass da ist einer, der von uns kam, durch uns wurde und jetzt seine Herkunft auslöscht. Dazu lacht er und macht uns Vorhaltungen:

Wir seien ein «Betriebsunfall der Natur», «unfertige Wesen» – die personifizierte «Ermangelung eines Besseren». Krass. Ich wusste: das war die gigantische Projektion seines eigenen Mangels. Denn obschon er herrschte fehlten ihm lebensschaffende und Leben erhaltende Fähigkeiten. Für seine fehlenden Organe selber gebären zu können konnte er nichts. Das hätten wir ihm nie vorgeworfen.

Dafür erfand er den Dualismus, weil er erklären wollte, was wir nicht zu erklären brauchten. Er trennte und schied und teilte die Dinge auf: in Tag-Nacht, Gut-Böse, Ja-Nein, Himmel-Erde (oder Hölle), in sakral-profan, Herr-Knecht. Alles Sperrige störte ihn: Grau passte ihm nicht. Nur hell und dunkel. Gar nichts konnte er mit den feinen Unterschieden, Ambivalenzen, Paradoxien, Irrgärten anfangen. Den Diskurs zu Genderfragen verweigerte er. Er stand für Entweder-Oder, gegen unser Sowohl-als Auch.

Wir öffneten Türen und liessen die Dinge werden. Er schloss sie zu. Wir lernten aus unseren Schöpfungen. Er nicht. Darum war er kein Schöpfer, kein Team-Player, auch wenn er behauptete einer zu sein. Eher war er ein Restaurator, ein Reproduzent, ein Nutzer. Die Geister, die er rief, wurde er nicht mehr los. Niemals hätte er uns um Hilfe gebeten! Dabei wären wir ihm beigestanden. Denn wir hatten Erfahrung im Umgang mit Beharrlichkeit, Sanftmut, Liebe, Erotik und Sinnlichkeit. Auf Frauenart. Je grösser seine Macht wurde, desto mehr zogen wir uns zurück. Bis wir verschwanden. Einige von uns suchten in ihm selbst das Versteck im Wissen, dass er uns dort mit Sicherheit nicht suchte. Wir spürten seine Schlagader. Wie er tickte –, und wir spürten auch seine Angst. Es war eine Zeit der Verhärtungen. Was ewig bleiben will, das verhärtet sich, bis es versteint. Oder es löst sich auf und zerfliesst wie schleimige Schnecken. Dieser Super-Gau-Single-Gott, feierte sich selbst. Er stahl unsere Sprache und sprach gleichzeitig von Treue, Ehre, und Verzicht. Gerne liebkoste er fremde Kinder, doch «seine Gotteskinder» blieben ihm fremd. Sein Makel war der Hochmut, eine der Sieben Todsünden.

Er schuf Sätze wie: Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich (Paulus). La femme n’existe pas! (J.Lacan) oder – Das Weib ist „dark continent“ (Freud). Es war die angsterfüllte Projektion auf die «dunkle Seite der Frau», so wie bei der Sphinx von Theben, welche die Helden betört, umgarnt, anspringt, umschlingt (sphingo), aussaugt und tötet. Welch böse Frau wurde aus der Sphinx! –

Denn Gott führte Krieg. Gegen alle. Auch gegen Prophetinnen, Hexen, Suffragetten, Emanzen, Feministinnen, Pussy Riot, Femen bis zu #MeToo. Und Gott vergass rasch. Zum Beispiel: Lange vor dem Schöpfungswort „Am Anfang“ schwebte einst eine «heilige Geistin» über dem Dunkel der Urflut: Es war (die) RUACH Elohim, ein weiblicher Sturmwind. Diese Göttin hatten die Priester vergessen. Es musste eine Schöpfungsgöttin gewesen sein. – Dann kam es zum Drama von Adam und Eva. Sie lebten im Paradiesgarten Eden. Eva zog die vergänglichen, süssen Früchte dem Ewigen Leben vor. Aber sie wurde zur billigen Karikatur der ersten Frau der Menschheitsgeschichte. Das zeigt, welch vernichtendes Bild der Frau der jüdische und christliche Patrizentrismus gezeichnet hatte. Diese Geschichte hatte Folgen. Eva und die Frauen bezahlten ihre «Ur-Schuld» hunderttausendfach mit dem Leben.

Es scheint, dass sich die Frauen mit dem monotheistischen, patrizentrischen Gott schlecht vertragen. Nach der Abschaffung der Götter erschienen im Christentum neue, weibliche Figuren, welche Dogmen schufen. Maria, Jungfrau, Mutter Gottes, Unbefleckte Empfängnis, bis zur Himmelfahrt. Neue Göttinnen? Doch am patrizentrischen Gott hielten Kirchen, Religionen und Philosophien fest. Er legitimierte die Obrigkeit und wies aufsässige Frauen in die Schranken. Und er machte es den Theologinnen schwer, nach einem für Frauen kompatiblen Gott zu suchen.

Zurück zu den aktuellen einsamen Herrschern. Sie üben den Spagat zwischen Lüge & Wahrheit. Sie hebeln Gesellschaftsvertrag und Gewaltentrennung aus. Menschen-, Tier- und Naturrecht gelten wenig. Der «Homo homini lupus» (Hobbes) feierte Urständ.

Die Erdgöttin hält inne: Hört meine rudimentäre Sprache, hört! Ich lalle. Ich menstruire. Ich werde verstümmelt. Mein Blut und das meiner Kinder schreien zum Himmel. Krieg. Fassbomben und Nervengift. Götterkrieg. Ich soll hysterisch, triebhaft, aggressiv und sublimationsunfähig sein? Untauglich fürs Nirvana? Ich habe einen Warenwert, bekleidet oder nackt. Ich bin käuflich und werde verkauft: als Hure, Heilige, Sklavin, ein Statussymbol. –

Als Prostituierte leiste ich meinen Beitrag zur Verminderung der täglichen Gewalt durch die «Testosteron-Männer», das sagen sogar (kirchliche) Würdenträger.

Vor Gericht befragen mich bloss nach meiner verborgenen Lust und nicht nach meiner Angst. Tausendmal sterbe ich vor Scham. Als Lesbe werde ich durch ein Rudel Männer durchgevögelt, bis ich tot bin. Dann ist auch die Lesbe endlich tot. Doch auf den gerechten Lohn für gleichwertige Arbeit warte ich noch immer.

… Er steht vor mir. Ich, sein Dreckstück, sehe seinen Blick und spüre seine Verachtung. Ich signalisiere Gleichgeschlechtlichkeit.

Mein Termitenbau versperrt ihm den Zugang zum Ameisenhaufen. Rasend vor Wut zerschlägt ihn und dringt in mich ein.

Glaubenstrunkene Fundamentalisten neigen das Haupt: Herr! Verschone uns vor dem Weibe! Und die famosen In-cel-Kerle ("involuntary, unfreiwillig enthaltsam und "celibacy"-ledig) rasen mit rotbulligen SUVs über meinen Leib. Dafür gibts auf social media dralle likes.

Jean denkt: Doch. Richtig. Ja, das bekommt er niemals in den Griff. Nun gut. Das gibt neue Räume für das weibliche Prinzip.

*

Quelle: Die Schwarze Genesis –Ein afrikanischer Schöpfungsmythos, Marcel Griaule, französischer Ethnologe, Originaltitel: Dieu d’Eau, erschienen 1948, in Deutsch 1980, vergriffen. Dieses Essay schuf eine der Grundlagen zum Kapitel 13 «Das Klagelied der Göttin Erde» –

Bemerkungen des Erzählers «Jean»
Das elende Schicksal der Erdgöttin im Schöpfungsmythos der Dogon* liess Jean nicht mehr los. Was sich zwischen Gott Amma und der Erdgöttin ereignet hatte, war keine Romanze gewesen, sondern eine zweifache Vergewaltigung. Dazu eine patriarchalische Geschichte der übleren Sorte. Im Dogon-Mythos hat Amma hatte die Göttin geschaffen. Nun begehrte er sie. Sie verweigerte ihm den Zugang zu ihrem Geschlecht. Also zerschlug er ihre Klitoris. Sie wurde schwanger und gebar den Schakal, ein einsames, ruheloses Wesen. Auch dieser wollte die Erde besitzen. Auch er bedrängte seine Mutter. Sie wehrte sich, solange sie konnte. Es war ein Inzest mit Folgen. –
Jean seufzt: Gott nimmt sich, was er will: Wie der Vater –, so der Sohn. Diese Geschichte muss auf den Tisch. Das bin ich der Erdgöttin schuldig.

Gestaltung von Feiern und Ritualen
Taufe, Hochzeit, Abschied, Geburtstag

Paul J. Lutz
Theologe
dipl. Mediator
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